100 Jahre AGV

Vorausgedacht Sommer 1917. Es sind unruhige Zeiten. Der Erste Weltkrieg beherrscht den Alltag der Menschen im ganzen Land. Auch im Groß- herzogtum Oldenburg hat sich das Leben seit 1914 massiv verändert. Längst ist dem Patriotismus und der damit verbundenen Euphorie Ernüchterung gewichen. In diesen Jahren leben rund 400.000 Menschen im Großherzogtum, 55.000 da- von in der Stadt Oldenburg. Das Oberzen­ trum ist bekannt als Truppenstandort. Zahl- reiche Kasernen mit ihren großen Plätzen, auf denen tausende Reservisten und Rekruten exerzieren, bestimmen das Stadt- bild. Das Infanterie-Regiment Nr. 91 ist be- reits legendär. In diesen Wochen jedoch brodelt es innerhalb der Kompanien. In Wilhelmshaven kommt es in diesem Sommer zu Aufständen bei den Matrosen der Kaiserlichen Marine. Doch die Admirali- tät greift hart durch: Zahlreiche Matrosen wandern ins Gefängnis, zwei werden sogar zum Tode verurteilt. Zudem sorgt die galoppierende Inflation für eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen. Lebens- und Arznei- mittel werden knapp, ebenso Heizmaterial und Kleidung. Längst schon, nämlich seit dem 1. April 1917, werden qua Lebensmit- telkarten die Brotrationen auf 170 Gramm pro Tag und die Kartoffelrationen auf 2,5 Kilogramm pro Woche gekürzt. Für Erwach- sene gibt es daneben pro Woche 80 Gramm Butter, 250 Gramm Fleisch, 180 Gramm Zu- cker und ein halbes Ei. Die Situation ist ex- plosiv. Der „Steckrübenwinter“ 1916/17, bei dem es zu „Hungerprotesten“ gegen die Regierung kommt, ist noch frisch im Ge- dächtnis. Der Schwarzhandel blüht. Weil die meisten Männer im arbeitsfähi- gen Alter zumMilitärdienst eingezogen sind, parallel aber die Rüstungsindustrie ausgebaut wird, gibt es in den Fabriken deutliche Veränderungen in der Zusam- mensetzung der Belegschaft und ständige Fluktuationen. Viele Frauen, angelernte Ar- beitskräfte sowie Arbeiter unter 16 Jahren werden jetzt eingestellt, später auch Kriegsgefangene. Die Zahl der Beschäftig- ten insgesamt steigt, insbesondere in der chemischen und der elektrotechnischen In- dustrie, imMaschinenbau und in der Metall- verarbeitung. Die tägliche Arbeitszeit wird Der friedliche und harmonische Ein- druck dieser Post- karte vom Julius- Mosen-Platz aus dem Jahr 1918 trügt: Auch in Ol- denburg hatte der Krieg Not und Elend hinterlas- sen. 11

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