100 Jahre AGV

Verband Oldenburger Industrieller. Der vor kurzem gegründete Verband hielt unter dem Vorsitz des Geh. Komm.-Rats Lahusen (Delmen- horst) gestern im Oldenburger Kasino seine erste, gut besuchte Mitgliederversammlung ab. Auch die Regie- rung hatte Vertreter dazu entsandt. Der Vorsitzende stellte in seiner einleitenden Rede fest, daß fast sämtli- che industrielle Betriebe Oldenburgs dem von Prof. Dursthoff angeregten Verbande sich angeschlossen haben. Seine wichtigste Aufgabe werde der Verband bei der Ueberführung der Kriegs- in die Friedenswirt- schaft zu erfüllen haben. Jedes einzelne Mitglied müs- se ernstlich an den großen Aufgaben mitarbeiten. Der Geschäftsführer des Oldenburgischen Industri- ellen-Verbandes, Prof. Dursthoff, berichtete zuerst über die Bemühungen, eine Aufhebung der schwierigen und häufig undurchführbaren Unterscheidung zwi- schen Schwer- und Schwerstarbeiter zu erlangen, und teilt mit, daß bei der Regierung eine Regelung in der Form beantragt wurde, daß die bisherigen Zulagen für „Schwerstarbeiter“ an sämtliche Arbeiter verteilt wer- den. Ferner sei für Oldenburg von der „Ausgleichs- stelle für Heereslieferungen“ ein eigenes Amt begrün- det worden. Zum ersten Punkt der umfangreichen Tagesordnung „Auflösung von Verträgen mit Angehö- rigen feindlicher Staaten“ bemerkt Prof. Dursthoff, es sollte von diesbezüglichen Anträgen an das Reichs- Schiedsgericht auch seitens der Oldenburger Indust- rie ausgiebig Gebrauch gemacht werden. Sonst könne es leicht sein, daß die für uns ungünstigen Verträge mit dem feindlichen Auslande bei Friedensschluß noch zu Recht bestehen, während die günstigen aufgehoben sei- en. Der Anregung wird von der Versammlung rück- haltlos zugestimmt. Eine längere Debatte ruft die Frage hervor, ob die Ein- führung von „Ursprungsbezeichnungen für ausländi- sche“ Waren erfolgversprechend sei oder nicht. Es wird der – leider wohl nicht unberechtigten – Befürch- tung Ausdruck gegeben, daß nach Friedensschluß die bekannte Vorliebe des Deutschen für alles Fremde trotz der Erfahrungen dieses Krieges bald neuerdings in die Erscheinung treten möchte und damit eine Kenntlichmachung ausländischer Waren ein der Absicht entgegengesetztes Resultat hätte. Das einzig Richtige sei, bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß der von unseren Feinden geplante „Wirtschafts- krieg nach dem Kriege“ und mit ihm auch eine Ursprungsbezeichnung für deutsche Waren im Frie- densvertrage unmöglich gemacht würde. Wenn Ab- wehrmaßregeln notwendig seien, so müßten sie in ei- nem Einfuhrverbot bestehen. Die Versammlung einigte sich schließlich auf dieser Grundlage. Eine Durchschrift der Potsdamer Handelskammer über die Übergangswirtschaft soll wegen ihres treffen- den Inhalts an alle Verbandsmitglieder verteilt wer- den. Die schwierige Frage der Rohstoffbelieferung in der Uebergangszeit wird von der Tagesordnung abge- setzt und dem Vorstand zu besonderer Beratung über- wiesen. Es folgte alsdann eine Erörterung über unsere Handelsbeziehungen nach dem Kriege, insbesondere zu Oesterreich-Ungarn. Hierbei gelangte die Meinung zum Ausdruck, daß es nicht ungefährlich sei, wenn wir uns Oesterreich-Ungarn gegenüber allzusehr ver- pflichten, denn unsere Interessen forderten, daß wir möglichst freie Hand nach jeder Seite behielten. Olden- burger Interessenten in dieser Frage sollten sich aber sehr bald mit dem Verbande ins Benehmen setzen, ehe die Verhandlungen zwischen den Regierungen abge- schlossen seien. Ein hochinteressantes Thema wurde alsdann berührt: „Der Film als wirtschaftliches und kulturelles Propa- gandamittel im Ausland“. Schon vor dem Kriege wur- de namentlich von Frankreich mittels kinematographi- scher Vorführungen äußerst verletzend gegen uns gewirkt. Zur Abwehr ist in Leipzig eine „Deutsche Lichtbild-Gesellschaft“ gegründet worden, die auch von der Industrie regste Unterstützung verdient. Wenn man bedenkt, daß ein gutes Buch im Höchstfall etwa 100 000 Leser, ein interessanter Film dagegen bis zu 15 Millionen Zuschauer findet, wird man die Bedeutung solcher Propaganda verstehen. Die Festsetzung von Uebernahmepreisen beschlag- nahmter Rohstoffe durch die Kriegsgesellschaften er- regte in der Versammlung lebhaften – wohl berechtig- ten – Unwillen. Man stellte sich in dieser Sache auf den von Prof. Dursthoff in einem Gutachten an den Deutschen Handelstag dargelegten Standpunkt, in welchem die bestehenden Mängel gerügt und Vor- schläge zur Besserung gemacht werden. Eine Bro- schüre des sozialdemokratischen Schriftstellers Fend- rich: „Ein Wort an die unten und die oben“ wird lebhaft zur Verteilung unter die Arbeiterschaft empfohlen. Es gelangt darin die englische Gefahr in besonders ge- schickter und treffender Weise zum Ausdruck. Endlich wird noch beschlossen, dem „Bund deutscher Industrieller“ und dem „Zentralverband der Indust- riellen“ beizutreten. Eine umfangreiche Debatte ruft zum Schluß die äußerst schwierige Kohlenversorgung der Industrie hervor. Einen gemeinsamen Bezug von Kohlen auf demWasserwege, der angeregt wurde, stellen sich sowohl durch den großen Mangel an Käh- nen wie durch die hohen Transportkosten lebhafte Be- denken entgegen. Die Versammlung schloß unter dem Eindruck, daß die Oldenburgische Industrie in ihrem Verbande eine Vertretung sich geschaffen hat, welche das Beste für die Zukunft erhoffen läßt. G. „Nachrichten für Stadt und Land“ vom Sonnabend, 16. Juni 1917 14

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