100 Jahre AGV

verlängert, der Maschinentakt erhöht. Doch jetzt, im Sommer 1917, sind die Ar- beiter, die Soldaten, im Grunde das ganze Volk, kriegsmüde. Deprimierende Nachrich- ten von der Front und die extreme Lebens- mittelknappheit treiben die Menschen auf die Straße. Zunehmend tauchen politisch veränderte Strömungen auf; so zum Bei- spiel bei den Arbeitern der kriegswichtigen Industrie, die sich nun verstärkt gewerk- schaftlich organisieren. Zwar hatten sich alle Gewerkschafter dem von Kaiser Wil- helm II. ausgerufenen „Burgfrieden“ zwi- schen Staat und Gesellschaft angeschlos- sen, doch je länger der Krieg dauert, desto mehr beginnt das ganze System zu brö- ckeln. All dies ist für die Unternehmer der Regi- on Anlass genug, aufzuhorchen. Zum Bei- spiel als es um den Vorschlag geht, sich zu einer Arbeitgeberorganisation zusammen- zuschließen. Schließlich geht es um ge- meinschaftliche Interessen. Die Keimzelle Hatte es in den Jahren zuvor – im Gegen- satz zu anderen, eher industriell gepräg- ten Landesteilen Deutschlands – kaum eine Notwendigkeit gegeben, sich sozial- politisch zu organisieren, so sehen auch die Fabrikanten im Großherzogtum Olden- burg jetzt Handlungsbedarf. Es ist Prof. Dr. Im Geheimen Kommerzienrat Johann Carl Lahusen von der Norddeutschen Wollkäm- merei & Kammgarnspinnerei (Nordwolle) in Delmenhorst findet Prof. Dr. Dursthoff ei- nen Gleichgesinnten. Gemeinsam laden sie zahlreiche Unternehmer aus der Region ein – und die folgen diesem Ruf nahezu aus- nahmslos. Am 10. Mai 1917 kommt es da­ raufhin zur Gründung des „Verbandes Ol- denburger Industrieller“, einer kleinen und rein fachlich orientierten Industrieorgani- sation. Lahusen übernimmt bei der ersten Mit- gliederversammlung den Vorsitz. Die Ta- geszeitung „Nachrichten für Stadt und Land“ berichtet in ihrer Ausgabe vom 16. Ju- ni 1917 über dieses Treffen: „Der Vorsitzende stellte in seiner einleiten- den Rede fest, daß fast sämtliche industrielle Betriebe Oldenburgs dem von Prof. Dursthoff angeregten Verbande sich angeschlossen ha- ben.“ Es herrscht Aufbruchstimmung, so viel steht fest. „Seine wichtigste Aufgabe werde der Ver- band bei der Ueberführung der Kriegs- in die Friedenswirtschaft zu erfüllen haben. Jedes einzelne Mitglied müsse ernstlich an den gro- ßen Aufgaben mitarbeiten.“ Dem ist zu entnehmen, dass allgemein mit einem baldigen Kriegsende gerechnet wird. Es wird vorausgedacht, schließlich will man vorbereitet sein, wenn sich die gesell- Wilhelm Dursthoff, der die Initiative er- greift. Seit längerer Zeit schon steht er in schriftlicher Verbindung mit dem damali- gen nationalliberalen Reichstagsabgeord- neten und späteren Kanzler sowie Außen- minister Dr. Gustav Stresemann. Dieser gibt ihm als Syndikus des Verbandes säch- sischer Industrieller wertvolle Ratschläge zur Gründung einer Unternehmerorganisa- tion. Damit ist die Idee eines Zusammen- schlusses regionaler Industrieller in und um Oldenburg geboren. Der spätere Kanzler und Außenminister Dr. Gus- tav Stresemann gibt wertvolle Ratschläge zur Gründung einer Unternehmerorganisation in Ol- denburg. 12

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